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Licht und Schatten in Koolo Hinde

Dennoch, die Situation war klar und es gab keine Alternative. Da die einzige kausale Therapie der Eklampsie in der raschen Entbindung besteht, musste die Patientin unmittelbar zum Kaiserschnitt vorbereitet werden. Der OP wurde schnellstmöglich freigemacht, die KollegInnen der Anästhesie verabreichten ein krampflösendes Medikament (Midazolam?? Andreas, dies bitte Matus/Angelika nochmals fragen) und es ging ohne weitere Verzögerung direkt los. Ein Kollege der Allgemeinchirurgie half mit beim operativen Eingriff, und wir entwickelten ein zartes, männliches Neugeborenes, welches lebte. Der operative Eingriff ging gut, die Patientin war unter Narkose stabil, jedoch stellte uns die Situation insgesamt vor erhebliche Probleme. Was sollten wir nun mit dem kleinen Jungen machen?
Das gesamte Team brachte sich hier mit ein. Eine neonatologische Intensivstation, wie wir es zu Hause gewöhnt sind, gab es nicht. Noch dazu fehlten uns die entsprechenden Ausrüstungsgegenstände, um das Kind im Verlauf adäquat zu beatmen oder mit Infusionen versorgen zu können. Dazu das Problem, dass der Generator für die notwendige Elektrizität nachts ausgeschalten werden musste, um über den Tag problemlos operieren zu können. Und nicht zuletzt der Faktor Zeit: wir waren nur noch knapp 2 Wochen da, danach sollte nochmals ein Team für 3 Wochen kommen, aber was sollte danach mit dem Frühchen passieren? Selbst wenn wir es schaffen würden das Kind so lange am Leben zu erhalten, konnte es immer noch sein, dass es nach unserer Abreise zu Komplikationen kommt, die wir dann nicht mehr beeinflussen können.
Es war mit eine der schwersten Entscheidungen meiner bisherigen ärztlichen Laufbahn, aber wir beschlossen im Team gemeinsam, das Kind nicht zu versorgen. In der Erwartung, dass das Baby es ohne medizinische Versorgung nicht schaffen würde, legten wir es in ein Tuch und kümmerten uns weiter um die Mutter. Deren Operation verlief problemlos. Nach Narkoseende war die Patientin weiterhin schläfrig bis somnolent, der Blutdruck zudem sehr hoch bis 200/120 mmHg, ein typisches Symptom der Schwangerschaftsvergiftung. Mit Hilfe intravenöser Blutdrucksenker wie Ebrantil konnten wir diesen einigermaßen stabil halten und überwachten die Patientin weiter in unserem provisorischen „Aufwachraum“, der eigentlich den Flur im OP Gebäude darstellte.
Eine Kollegin, Elisabeth Hauber, warf derweil einen Blick auf den kleinen Jungen, der sich als großer Kämpfer herausstellen sollte, denn er lebte weiterhin, und schien sogar Hunger zu haben. Wir waren uns schnell einig, dass wir das Kind zwar nicht intensivmedizinisch betreuen, ihn aber auch nicht einfach sterben lassen konnten. So gaben wir ihm zunächst etwas Glukoselösung und Elisabeth packte ihn schön warm ein und trug ihn stundenlag liebevoll umher, bevor er der Familie zur weiteren Versorgung übergeben wurde. Zwischenzeitlich hatte eine der Krankenschwestern, Sakina, eine Kofferwaage hervorgezaubert, sodass wir nun auch das Geburtsgewicht wussten: 920g!

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Abb.2: Elisabeth Hauber mit dem kleinen Jungen circa 1,5 Stunden nach Geburt

Okay, das war sehr wenig, vermutlich zu wenig um in Guinea, ohne jede medizinische Hilfe zu überleben, das wussten wir alle. Wir instruierten die Angehörigen der Mutter, die weiterhin nicht bei Bewusstsein zu sein schien, in die Pflege des Neugeborenen, die dieser Aufgabe großartig nachkamen. Zwischenzeitlich war die Schwester der Patientin auch angekommen, die selber gerade einen Säugling im Stillalter hatte, und auch den kleinen Jungen als Amme mit stillte. Dies gelang anfangs sogar, was uns sehr überraschte. Ein kleiner Hoffnungsfunke keimte auf.
Nun verlangte die frisch operierte Mutter erneut nach unserer Aufmerksamkeit, da es auf der Liege im OP Flur einige Stunden nach der Operation zu einem erneuten Krampfanfall kam. Auch sie, das war uns klar, war noch lange nicht über den Berg. Der Blutdruck war zwischenzeitlich wieder auf extrem hohe Werte angestiegen, es wurden erneut krampflösende Medikamente und Blutdrucksenker über die Infusion verabreicht. (Für medizinisches Fachpersonal: wir verwendeten hierbei die Medikamente, die wir vorrätig hatten: Clonidin und Midazolam)
Ein weiteres Medikament, was wir in der Situation sehr gerne verabreicht hätten, Magnesium i.v., hatten wir leider nicht vor Ort. Auch hier wird einem wieder bewusst, wie limitiert die Möglichkeiten in Guinea manchmal eben einfach sind. Magnesium über eine Infusion verabreicht, wird in Deutschland standardmäßig bei der Behandlung einer schweren Präeklampsie/Eklampsie gegeben, da es die Gefäße im Gehirn weitet und es somit deutlich seltener zu Krampfanfällen und neurologischen Folgeschäden kommt.
Die Patientin konnte dennoch nach dem erneuten Krampfanfall mittels der oben genannten Medikamente stabilisiert werden, der Blutdruck fiel auch eine tolerable Höhe ab (150-160 mmHg), jedoch neigte sich der Tag allmählich dem Ende entgegen, und es blieb die Frage, was wir nun tun sollten. Eine Verlegung in unser Bettenhaus war bei dem derzeitigen schlechten Allgemeinzustand indiskutabel, zumal die Patientin auf die fortwährende Gabe von blutdrucksenkenden Medikamenten angewiesen war. Eine Intensiv- oder zumindest Überwachungsstation hatten wir nicht, ein Transport der Patientin zu unseren Unterkünften erschien auch nicht der geeignete Weg. Letztlich entschieden wir uns dazu, die Patientin auf eine Matratze in einen der OP Säle zu legen, unter fortwährender Infusion mit den benötigten Medikamenten. Die Anästhesisten Matus und Angelika tüftelten hier eine Infusionsmischung aus, die kontinuierlich über die Nacht lief, und für einen gleichbleibenden Medikamentenspiegel sorgte. Ein Mitarbeiter mit großem medizinischen Wissen und viel Verantwortungsgefühl, Herr Ablay Taran Diallo, wurde zudem mittels schriftlicher Anweisung instruiert. Es maß über Nacht regelmäßig den Blutdruck der Patientin und konnte bei Bedarf medikamentös eingreifen. Oder uns über Handy sofort verständigen, sollte die Situation nicht mehr beherrschbar sein. Damit er bei ausgeschaltetem Generator nicht völlig im Dunkeln arbeiten musste, ließen wir ihm noch ausreichend batteriebetriebene Lampen da.

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Die provisorische „Intensivstation“
So verlief die Nacht ohne Probleme, früh am nächsten Morgen gingen wir zur Klinik, um nach der Patientin zu sehen. Sie hatte die Nacht ohne große Veränderung verbracht, war weiterhin schläfrig bis somnolent und nicht ansprechbar. Und das Baby lebte…der kleine Funke Hoffnung wurde größer.

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 Das Baby am 1. Lebenstag

Nun mussten wir die Patientin selbstverständlich wieder aus dem OP Saal hinaus transportieren, wenn wir unseren neuen OP Tag starten wollten, und wieder die Frage: was nun? Das Bettenhaus, wenn auch nur wenige Gehminuten entfernt, schien weiter keine Option zu sein, da wir die Patientin dort nicht adäquat überwachen konnten. Im OP und auf dem OP Flur war kein Platz, da für den Tag zahlreiche operative Eingriffe anstanden. Also wurde die Patientin schließlich auf der Matratze im Schatten vor der Klinik gelagert, und die Vitalwerte von den AnästhesistInnen, den Pflegekräften und mir regelmäßig kontrolliert. Dieser Anblick und die Gesamtsituation war für mich allerdings sehr befremdlich: Patientinnen nach einem eklamptischen Anfall werden bei uns von allen äußeren Reizen abgeschirmt, meistens in einer abgedunkelten und möglichst geräuscharmen Umgebung.
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Unsere Patientin lag zwar im Schatten, ansonsten war die Umgebung aber alles andere als reizarm: vorbeilaufende Menschen, der Lärm des laufenden Generators, die Gerüche nach verbrannten Abfällen… dennoch ging die Strategie auf, die Werte blieben stabil und die Patientin konnte am Abend ins Bettenhaus verlegt werden. Zu diesem Zeitpunkt war sie etwas wacher, eine adäquate Ansprache war dennoch noch nicht möglich. Auch hier waren die Angehörigen eine große Hilfe, sie blieben die gesamte Zeit an ihrer Seite und versorgten sie mit allem Notwendigen.
Am nächsten Morgen dann die schlechte Nachricht: der kleine Junge, der weiter von seiner Familie mit Milch und Glukoselösung versorgt wurde, wurde schwächer und trank nicht mehr richtig…die Hoffnung schwand.
Ein weiterer Tag verging, die Patientin erholte sich zusehends, und wurde immer selbstständiger. Sie hatte es geschafft. Sobald es ging, klärten wir sie über das Krankheitsbild Eklampsie auf, und machten sie auch auf das Wiederholungsrisiko aufmerksam. Beim nächsten Mal wären wir vielleicht dann nicht vor Ort, um eine rasche Entbindung per Kaiserschnitt zu ermöglichen. Auch über die, in Deutschland empfohlene, Rezidivprophylaxe mit ASS 100 mg 1x täglich in der Folgeschwangerschaft, informierten wir. Noch während ich sprach wurde mir aber auch die Absurdität meiner Worte bewusst. Wie sollte diese junge Patientin Anfang 20 (genaues Alter, wie so oft in Guinea, unbekannt..) über Jahre hinweg suffizient verhüten? Und wie sollte sie im Falle einer erneuten Schwangerschaft an die notwendigen Medikamente gelangen? Diese Gedanken machen einen dann schon sehr nachdenklich und man kann nur hoffen, dass sich die Situation nicht wiederholt.
An die gesamte Schwangerschaft und die Erlebnisse rund um die Eklampsie konnte die Patientin sich übrigens auch Tage später nicht mehr erinnern. Und ihr Baby hat es leider nicht geschafft, am 4. Lebenstag hatten die Kräfte dann einfach nicht mehr gereicht. Auch wenn uns allen von Anfang an klar war, dass bei einem Geburtsgewicht von 920 g wenig Aussicht auf ein Überleben bestand, hatten wir zwischendurch doch alle etwas Hoffnung geschöpft und waren nun natürlich sehr betroffen.
Diese Situation hat einem einmal mehr vor Augen geführt, was für ein Privileg es ist, in einem Land wie Deutschland leben zu dürfen, mit gesicherter medizinischer Versorgung für Alle. Dafür sollten wir dankbar sein.
Danke auch an so tolle Organisationen wie Mango e.V., die eine Gesundheitsversorgung auch für die Menschen ermöglichen, die nicht dasselbe Glück wie wir haben. Und an das ganze Team an Ärzten und Krankenschwestern/-pflegern, die teilweise ihren Jahresurlaub geopfert haben, um unentgeltlich zu helfen. Ihr seid großartig!

f m

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